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Naturnahe Bewirtschaftung mit Regenwasser –  seit 25 Jahren erfolgreich erprobt

Naturnahe Bewirtschaftung mit Regenwasser – seit 25 Jahren erfolgreich erprobt

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Blick auf eine mit Bäumen bepflanzte Rigole an der Kreuzung „Hauptstraße/An der Bucht“, Fotocredit: Prof. Dr. Hartmut Balder
21.11.2022

In der Berliner Rummelsburger Bucht gedeiht Grün in Mulden und Rigolen


Durch den Klimawandel und seine Auswirkungen auf unsere Städte und das Stadtgrün ist der Begriff der „Schwammstadt“ gerade in aller Munde. Etliche Projekte dazu, u.a. in Deutschland, Österreich und Dänemark, sind allerdings noch sehr jung und wenig erprobt. Dabei gibt es in Berlin schon seit längerer Zeit Beispiele im Bemühen, Regenwasser anders zu nutzen und auch gezielt zur Wasserversorgung von Stadtgrün einzusetzen.
Hierzu zählen das Debis-Stadtviertel am Potsdamer Platz, das Entwicklungsgebiet Adlershof und das Neubaugebiet Rummelsburger Bucht.

Einer, der sich mit diesen Arealen gut auskennt und bis heute die Entwicklung des Stadtgrüns speziell unter diesen Bedingungen kontinuierlich wissenschaftlich begleitet, ist Professor Dr. habil. Hartmut Balder (Emeritus der Berliner Hochschule für Technik).
Bei unserem Kongress „Stadt.Klima.Baum“ im September führte er am zweiten Veranstaltungstag die Exkursionsteilnehmer gemeinsam mit Dr. Matthias Pallasch durch das Areal in Berlin-Rummelsburg.
Mit Ihm haben wir zu den Erkenntnissen aus den oben genannten Beispielen gesprochen.

Blick in das Quartier an der Rummelsburger Bucht, in die Straße „An der Bucht“,
Fotocredit: Prof. Dr. Hartmut Balder


Bewusste Entscheidung für Bäume, Sträucher und Stauden in Regenwassermulden

In Berlin-Rummelsburg wurde bereits Mitte der 1990er Jahre in einem 130 ha großen Neubaugebiet eine naturnahe Regenwasserbewirtschaftung etabliert.
Wer gab damals, als noch keine Rede von Hitzesommern und extremer Trockenheit war, den Anstoß?


Die ersten positiven Erfahrungen mit Neubauten zum Regenwassermanagement im Projekt KURAS ermunterten den Berliner Senat, auf größerer Stadtquartiersebene die Grundgedanken von ungehinderter Regenwasserzufuhr ins Grundwasser zur Entlastung der Kanalisation auszuprobieren. Hierzu zählte auch die Entscheidung – entgegen den Empfehlungen gültiger Regelwerke – Bäume, Sträucher und Stauden in Mulden und Mulden-Rigolen-Systemen zu integrieren. Die eigens dafür gegründete Berliner Regenwasseragentur begleitet diese Entwicklung seitdem intensiv und optimiert durch wissenschaftliche Studien den Gesamtblick auf die langfristigen Auswirkungen.

Welche Bäume und Stauden wurden gepflanzt und warum in Mulden bzw. Rigolen?

Private Dienstleister erarbeiteten für die Projektanten in enger Zusammenarbeit mit den kommunalen Akteuren ein Gesamtkonzept. Gesammeltes Regenwasser wird zunächst auf den Gebäuden zurückgehalten, um dann stufenweise den gestalteten Freiräumen zuzufließen. Der öffentliche Straßenraum wurde mit unterschiedlich breiten Mulden seitlich oder auch mittig der Straßenzüge geplant. Da vorrangig die Funktionalität der Mulden gewährleistet werden musste, wurden diese mit einer belebten Oberbodenschicht nebst Drainage (gemäß DWA Arbeitsblatt A138) realisiert. Erstmalig wurden zur Begrünung des Stadtviertels aber auch Bäume, Sträucher und Bodendecker versuchsweise integriert.
Die Bäume wurden entweder plan oder auf einem Sockel in die Muldenmitte bzw. seitlich zur Mulde gepflanzt. Verwendet wurden vorrangig Linden, Ahorne und Sumpf-Eichen. Ziele sind die Grundwasseranreicherung, aber auch das anfallende Regenwasser für die Begrünung nachhaltig zu nutzen, Bewirtschaftungskosten zu sparen und dem Stadtviertel eine positive klimaresiliente Aufenthaltsqualität zu geben.

Beispiel einer mit Stauden bepflanzten Mulde, Fotocredit: Prof. Dr. Hartmut Balder


Erkenntnisse und Diskussion aus den bisherigen Erfahrungen

Wie stellt sich die Lage heute, über 25 Jahre später, dar?

Die Entwicklung der Gehölze wird wissenschaftlich ausgewertet, um mit den gewonnenen Erkenntnissen nachfolgende Projekte funktionaler auf den Weg zu bringen. Man sieht sehr deutlich, dass Pflanzen im Einflussbereich der Mulden in ihrem Wachstum gefördert werden, also in den ersten Standjahren besser wachsen verglichen mit Bäumen herkömmlicher Pflanzweise.
Die Wurzelentwicklung kann jedoch mit den Standjahren der Gehölze problematisch werden, wenn der ihnen zugewiesene Standraum zu gering bemessen ist, z. B. bei Mulden von einer Breite von 1,5 bis 2 Metern. Hieraus resultieren inakzeptable Schäden an der technischen Infrastruktur durch Hebungen und Verdrückungen von Bordsteinkanten, Belägen oder Mauern. Es ist erkennbar, dass die Wurzeln vielfach in die Muldenmitte gelenkt werden, die alte Bauernregel „Wurzeln riechen das Wasser“ wird hier bestätigt. Bleiben die Wurzeln oberflächennah, stören sie in der Unterhaltungspflege die Mahd in den Mulden und erleiden selbst mechanische Schäden.
Mit dem Wachstum der Bäume steigt aber auch ihr Wasserbedarf. Durch die trockenen Sommer der letzten Jahre (2018, 2020, 2022) mehren sich die Ausfälle, wenn die Wurzelsysteme nicht das Grundwasser erreicht haben. Auch werden die Mulden selbst trocken, so dass die Bodenvegetation verbräunt, unästhetisch wirkt und dadurch zu Vandalismus, Müllablagerungen, Hundetoilette und Trampelpfaden geradezu ‚einlädt‘.
Zur Sicherung von Stadtbild, Kühlung und Investition muss daher die Pflege neu gedacht werden, es sollten unterstützende Bewässerungsmaßnahmen erfolgen.
Die Versickerungsleistung der Mulden wird durch das Einwurzeln der Bäume und Sträucher bislang nicht beeinträchtigt.

Was wird aktuell nachgebessert?

Das bisherige Baumsortiment wird kritisch diskutiert, da aufgrund der wechselfeuchten Situationen Trockenrisse und Sonnenbrandschäden vor allem beim Ahorn auftreten.
Auch neigen z. B. Feldahorn und Hainbuche in dieser Wuchs-Situation zu einer auffälligen Wasserreisebildung am Stamm, was Ästhetik und Pflegekosten beeinflusst.
Zur Unterstützung der Biodiversität und der Insektenpopulationen werden extensive Pflegeprogramme evaluiert und Nachsaaten in degradierten Muldensituationen getestet.
Der Einbau von Wurzelsperren zur Verhinderung der Schäden an der technischen Infrastruktur wurde eingeführt und sollte wissenschaftlich begleitet werden.
Der Gestaltungsspielraum wird attraktiv erweitert, indem man mit Stauden wie Astern, Rudbeckien und Chinaschilf sowie Bodendeckern (Liguster, Fungerkraut) experimentiert. Im unmittelbaren Umfeld von Altbäumen wurden nachträglich Mulden und Ergänzungspflanzungen realisiert. Erste Befunde lassen vermuten, dass etablierte Wurzelsysteme sehr empfindlich auf einen veränderten Wasserhaushalt reagieren.
Hier ist Vorsicht geboten.

Blick auf eine mit Bäumen bepflanzte Rigole an der Kreuzung „Hauptstraße/An der Bucht“, Fotocredit: Prof. Dr. Hartmut Balder


Ein konstruktiver, kritischer Dialog zwischen allen Disziplinen ist notwendig

Was können andere Städte von Rummelsburg lernen?

In der Diskussion um den Umbau der Städte und den sinnvollen Einsatz von Baumschulpflanzen ist der praxisnahe fachliche Austausch extrem wichtig.
Dieser findet aktuell meist innerhalb der Kommunen und planenden Disziplinen statt, Pflanzenexperten werden leider viel zu wenig beteiligt. Allen Beteiligten muss klar sein, dass die Entwicklung und Erprobung von Regenwassersystemen gerade erst begonnen hat, von einer Standardisierung ist man noch weit entfernt. Das gilt vor allem für Gestaltungsspielräume, differenzierte Pflanzenverwendung und Vegetationstechnik, Schadstoffströme, Aufrechterhaltung der Funktionalität der Mulden-Systeme über die lange Standzeit sowie eine investitionssichernde Unterhaltungspflege.
Der Austausch vor Ort anhand von gebauten Praxisbeispielen ist allen Städten zu empfehlen. Nur der konstruktive, kritische Dialog zwischen allen Disziplinen wird dem Einsatz sinnvoller, optimaler Regenwassernutzung gerecht.
Im Sinne des Weißbuches „Stadtgrün“ sind die blaue und graue Infrastruktur auf die Wuchs-Situationen der gewünschten grünen Infrastruktur neu auszuloten – aber mit individuellem Weitblick! Von daher sind auch die Unterhaltungsschritte und -kosten für alle Akteure neu zu sortieren und als Wertschöpfungskette auszurichten.

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